Zu den Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung nach wechselseitigen Kündigungen gemäß §§ 8 Abs.3 Nr. 1, 5 Abs. 4 VOB/B und § 9 Abs. 1 und 2 VOB/B

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Zu den Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung nach wechselseitigen Kündigungen gemäß §§ 8 Abs.3 Nr. 1, 5 Abs. 4 VOB/B und § 9 Abs. 1 und 2 VOB/B

Dr. Jörg Deutscher
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
www.ts-law.de

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Leitsätze:

1. Die Einstellung der Arbeiten und der Abzug aller Arbeitskräfte von der Baustelle durch den Auftragnehmer stellt den Extremfall einer unzureichenden Ausstattung der Baustelle dar. Verlangt der Auftraggeber Abhilfe, begründet deren Nichtbefolgung einen schuldhaften Vertragspflichtenverstoß, der den Auftraggeber – unter den weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 VOB/B – zu einer außerordentlichen Kündigung des Bauvertrags berechtigt.
2. Aufgrund seiner Vorleistungspflicht ist der Auftragnehmer grundsätzlich verpflichtet, auch dann seiner Leistungspflicht weiter nachzukommen, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten über die Vergütungshöhe kommt, solange sich der Auftraggeber nicht objektiv in Verzug mit fälligen Abschlagszahlungen befindet. Es gilt der Grundsatz "Vertragsdurchführung vor Preisgewissheit".
3. Wird die im Namen des Auftraggebers aus wichtigem Grund erklärte Kündigung eines Bauvertrags mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde vom Auftragnehmer berechtigterweise unverzüglich zurückgewiesen, wird die Kündigungserklärung nicht wirksam und kann dementsprechend nicht in eine sog. freie Kündigung umgedeutet werden.
4. Lässt das weitere Verhalten der Parteien im Anschluss an den Zugang wechselseitiger Kündigungserklärungen klar erkennen, dass beide Parteien – unabhängig von der jeweiligen Wirksamkeit ihrer Kündigung – nicht weiter an dem Bauvertrag festhalten wollen, liegt eine einvernehmliche Vertragsaufhebung vor.
5. Wird der Bauvertrag nach dem Zugang wechselseitiger Kündigungserklärungen einvernehmlich aufgehoben und keine Regelung über die mit der Vertragsaufhebung verbundenen Rechtsfolgen getroffen, bestimmen sich die wechselseitigen Ansprüche danach, welche materiell-rechtlichen Ansprüche den Vertragsparteien im Zeitpunkt der einvernehmlichen Vertragsaufhebung zustanden. Maßgeblich ist deshalb, ob die Vertragsbeendigung vom Auftraggeber grundlos oder aus wichtigem Grund herbeigeführt worden ist oder ob sich umgekehrt der Auftragnehmer auf einen ihm zustehenden Kündigungsgrund berufen konnte.
6. Haben beide Vertragsparteien im Zeitpunkt der einvernehmlichen Vertragsaufhebung kein Recht zur außerordentlichen Beendigung des Bauvertrags, steht dem Auftragnehmer die volle Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zu.

Kammergericht Berlin, Urteil v. 15.05.2025 – 27 U 117/23

Praxishinweis:

Die Parteien waren Vertragspartner eines nicht vollständig erfüllten VOB/B-Bauvertrages zur Ausführung von Trockenbauarbeiten im Rahmen der Sanierung einer Hochschule. Die klagende Auftragnehmerin begehrt von dem beklagten Auftraggeber u.a. Werklohn für erbrachte Leistungen und kündigungsbedingt nicht mehr erbrachte Leistungen sowie im Wege einer Zwischenfeststellungsklage die Feststellung, dass ihr eine Vergütung auch für die nicht erbrachten Leistungen zusteht.

Die Auftragnehmerin hatte ihre Arbeiten wegen eines – tatsächlich nicht bestehenden – Zahlungsverzugs des Auftraggebers ein. Dieser forderte die Auftragnehmerin mehrfach fristgebunden zur Leistungserbringung auf und behielt sich in den Schreiben für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der gesetzten Fristen die Kündigung des Bauvertrages nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B vor. Nach fruchtlosem Ablauf der zuletzt gesetzten Frist kündigte der Auftraggeber unter dem 27.08.2018 den Bauvertrag wegen unzureichender Besetzung der Baustelle mit Personal und wegen Verzugs nach § 5 Abs. 4 VOB/B. Die Auftragnehmerin war der Auffassung, dass der Auftraggeber die Kündigung nicht ordnungsgemäß angedroht habe. Die Auftragnehmerin kündigte den Bauvertrag selbst mit Schreiben vom 07.09.2018 außerordentlich wegen ernsthafter und endgültiger Annahmeverweigerung.

Das Landgericht Berlin II hat mit Teilurteil vom 10.10.2023 die Zwischenfeststellungsklage mit der Begründung abgewiesen, die wechselseitig ausgesprochenen Kündigungen der Parteien seien zwar jeweils aus rechtlichen Gründen ohne vertragsbeendende Wirkung geblieben, die Parteien hätten den Bauvertrag jedoch unabhängig davon einvernehmlich als beendet behandelt und der Klägerin stehe infolge dessen – wiederum aus Rechtsgründen – ein Anspruch dem Grunde nach nur für die bis zur Vertragsaufhebung erbrachten Leistungen zu.

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