Zum ungewöhnlich niedrigen Angebot

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Zum ungewöhnlich niedrigen Angebot
Beschluss der Vergabekammer Nordbayern – RMF-SG21-3194-4–26 vom 11. Juli 2019

Die Aufklärungspflicht hinsichtlich eines als unangemessen niedrig erscheinenden Angebots setzt ein, sobald die Vergabestelle objektive Anhaltspunkte für einen unangemessen niedrigen Angebotspreis hat. Diese können in Marktdaten, in Erfahrungswerten, in einer vor Beginn des Vergabeverfahrens erfolgten Kostenschätzung und auch in den weiteren abgegebenen Angeboten zu finden sein. Die Vergabestelle hat dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum.

Grundsätzlich ist der Gesamtpreis des Angebots Prüfungsgegenstand. Die Prüfungstiefe bestimmt die Vergabestelle, zur Prüfung von einzelnen Positionen ist sie berechtigt, aber nicht verpflichtet, und Zweifel hat sie konkret zu benennen.

Die Vergabestelle kann den Zuschlag auch auf ein ungewöhnlich niedriges Angebot erteilen, entscheidend ist, dass sie von ordnungsgemäßer Leistungserbringung ausgehen muss. Sie darf im Gegenteil nicht alleine aufgrund der Unauskömmlichkeit des Angebots den Ausschluss eines Bieters vom Verfahren vornehmen, sondern es müssten auch hierfür weitere Anhaltspunkte hinzukommen.

(amtliche Leitsätze)

In der Entscheidung der Vergabekammer ging es um die Prüfung eines unangemessen niedrigen Angebots.

Sachverhalt:
Die Auftraggeberin schrieb Baumeisterarbeiten inklusive Abbruch im Offenen Verfahren europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Auftraggeberin teilte der zweitplatzierten Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden solle, da ein niedrigeres Hauptangebot der Beigeladenen vorliege, auf das sie den Zuschlag zu erteilen beabsichtige.

Die Antragstellerin rügte, dass die Angebotssumme der Beigeladenen über 40 Prozent unter dem nächsthöheren, d. h. ihrem Angebot liege. Dies lasse einen unangemessen niedrigen Preis vermuten, was einem Zuschlag entgegenstehe. Die Auftraggeberin wies die Rüge zurück. Sie habe das Angebot der Beigeladenen sorgfältig geprüft und die Kalkulation hinterfragt.

Den daraufhin eingereichten Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wies die Vergabekammer als zulässig aber unbegründet zurück.

Aus den Gründen:
Die Antragstellerin sei durch die Durchführung des Vergabeverfahrens nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Zwar erscheine das Angebot der Beigeladenen in der Tat ungewöhnlich niedrig. Jedoch sei die Auftraggeberin ihrer Aufklärungspflicht gemäß § 16 d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A ordnungsgemäß nachgekommen und habe ihren Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Angemessenheit des Preises i. S. d. Prognose einer zuverlässigen und vertragsgerechten Leistungserbringung nicht überschritten.

Die Aufklärungspflicht setze ein, sobald die Auftraggeberin objektive Anhaltspunkte für einen unangemessen niedrigen Angebotspreis habe, z. B. Marktdaten, Erfahrungswerte, eine vor Beginn des Vergabeverfahrens erfolgte Kostenschätzung und weitere abgegebene Angebote. Der Auftraggeberin stehe dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.

Die Rechtsprechung nehme eine Prüfpflicht des Auftraggebers überwiegend dann an, wenn der Abstand zum Angebot des nächstplatzierten Bieters 20 Prozent der Gesamtauftragssumme
beträgt. Die Differenz zwischen dem niedrigsten und zweitniedrigsten Angebot von 40 Prozent sei jedenfalls ein objektiver Anhaltspunkt dafür, dass ein unangemessenes Angebot vorliegen könne.

Allerdings sei fraglich, ob das Indiz für ein Unterkostenangebot innerhalb der submissionierten Angebote durch andere Anhaltpunkte widerlegt werden könne, sodass das niedrigste Angebot nicht als unangemessen niedrig erscheinen müsse.

Einerseits sei hierbei zu berücksichtigen, dass nicht jeder Bieter ein knapp kalkuliertes Angebot abzugeben habe, sondern durchaus auch spekulative Elemente bei der Kalkulation eine Rolle spielen könnten. Jeder Bieter könne also auch zu hohe oder zu niedrige Preise verlangen.

Andererseits sei der submissionierte Preis häufig das alleinige, immer aber zumindest ein maßgebliches Kriterium für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Erscheine dieser also sofort auffällig niedrig im Vergleich zu den anderen Angebotssummen, sei dies zumindest als starkes Indiz zu werten, dass das Angebot unangemessen niedrig scheinen müsse. Um eine Aufklärungspflicht auszulösen, genügten bereits einzelne Anzeichen.

Liege ein eindeutiges Anzeichen für Unangemessenheit wie hier zweifellos vor, sei ein Auftraggeber zur Aufklärung gemäß § 16 d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A verpflichtet. Dem ist die Auftraggeberin nach Ansicht der Vergabekammer ordnungsgemäß nachgekommen.

Weiter führt die Vergabekammer aus, dass grundsätzlich der Gesamtpreis des Angebots Prüfungsgegenstand sei. Die Prüfungstiefe bestimme die Auftraggeberin selbst, zur Prüfung
einzelner Positionen sei sie berechtigt, aber nicht verpflichtet, und Zweifel habe sie konkret zu benennen.

Hier habe die Auftraggeberin den Gesamtpreis und nicht nur einzelne Einheitspreise geprüft. Dazu habe sie die Auskömmlichkeit sämtlicher Angebote geprüft und im Angebot der Beigeladenen bei über 100 Einzelpositionen einen niedrigeren Preis als in ihren eigenen Berechnungen festgestellt.
Deshalb habe sie von der Beigeladenen Aufklärung verlangt. Die Beigeladene habe dazu die EFB-Formblätter 221 und 223 nachgereicht, auf denen die Kalkulation zu Einzelpreisen aufgeschlüsselt werde.

Das von der Auftraggeberin beauftragte Architekturbüro habe die dargestellten Kalkulationen für nachvollziehbar und schlüssig gehalten. Ferner habe sie aus dem Gesamtstundenansatz der Beigeladenen die beabsichtigte Besetzung der Baustelle errechnen können und diese für ausreichend erachtet. Diese Prüfung habe sich die Auftraggeberin zu eigen gemacht.

Darüber hinaus habe die Beigeladene eine Eigenerklärung zur Auskömmlichkeit abgegeben.

Auch ein Abgleich mit der Kostenschätzung der Auftraggeberin habe stattgefunden. An deren ordnungsgemäßer Erstellung bestünden keine Zweifel, da der Schätzung indexierte Preise aus vorherigen Vorhaben der Auftraggeberin sowie aus submissionierten Angeboten für vergleichbare Vorhaben zugrunde gelegt worden seien.

Ob Anzeichen für eine Mischkalkulation vorlagen, habe die Auftraggeberin ebenfalls überprüft.

Die Vergabekammer sieht keine Gründe, die begründete Zweifel am Vorgehen der Auftraggeberin erwecken könnten. Eine noch tiefer gehende Aufklärung sei ohne weitere Anhaltspunkte nicht geboten. Zudem könne die Auftraggeberin selbst bestimmen, wie tief sie in die Prüfung der Angebote einsteigen möchte.

Die Auftraggeberin habe auch die Angemessenheit des Preises ordnungsgemäß beurteilt. Es seien keine Fehler bei der Bildung der Prognose, die Beigeladene werde vertragsgerecht und zuverlässig leisten, ersichtlich.

Der der Auftraggeberin hierbei zustehende Beurteilungsspielraum sei nur eingeschränkt überprüfbar und vorliegend nicht überschritten. Sie befinde die Preise der Beigeladenen nach erfolgter Aufklärung als auskömmlich.

Die Erwägungen der Auftraggeberin, dass die Beigeladene die Leistung zum angebotenen Preis erbringen könne, unterlägen keinen Beanstandungen.

Die Tatsache allein, dass die Beigeladene bereits zuvor als Nachunternehmerin auf der Baustelle der Auftraggeberin tätig gewesen sei, könne ohne zusätzliche gravierende Anhaltspunkte für ermessensfehlerhafte Erwägungen keinen zwingenden Ausschluss der Beigeladenen nach sich ziehen. Die Vorteile, die die Beigeladene durch ihre vorherige Tätigkeit auf der Baustelle habe und die sich in ihrer Kalkulation niederschlügen, könnten jedenfalls nicht zu ihren Lasten gewertet werden.

Die Auftraggeberin habe auch keine sonstigen sachfremden Erwägungen in ihre Beurteilung einfließen lassen.

Im Übrigen dürfe sie den Zuschlag auch auf ein ungewöhnlich niedriges Angebot erteilen, wenn sie von einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung ausgehen könne. Im Gegenteil dürfe sie ein Angebot nicht allein aufgrund der Unauskömmlichkeit vom Verfahren ausschließen, sondern nur, wenn hierfür weitere Anhaltspunkte vorliegen.

Praktische Auswirkungen:
Die Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern benennt die relevanten Punkte, auf die es bei der Prüfung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes ankommt und gibt konkrete Hinweise, wie diese Anforderungen erfüllt werden können. Wichtig für Auftraggeber: Sie dürfen ein Angebot nicht allein aufgrund einer festgestellten Unauskömmlichkeit ausschließen. Vielmehr müssen weitere Anhaltspunkte hinzutreten.
 

(Quelle: VOBaktuell Heft 1/2020
Ass. jur. Anja Mundt)