Verbraucherbauvertrag auch bei gewerkeweiser Vergabe

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Verbraucherbauvertrag auch bei gewerkeweiser Vergabe
Urteil des Oberlandesgerichts Hamm – 24 U 198/20 – vom 24. April 2021

Leitsatz:
Ein Verbraucherbauvertrag i. S. d. § 650i Abs. 1 Alt. 1 BGB kann bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen, wenn die Beauftragung zeitgleich oder in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Erstellung eines neuen Gebäudes erfolgt, die Erstellung eines neuen Gebäudes für den Unternehmer ersichtlich ist und die Gewerke zum Bau des neuen Gebäudes selbst beitragen.

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer aktuellen Entscheidung zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob ein Verbraucherbauvertrag auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen kann.

Sachverhalt:
Die Beklagte beauftragte das klagende Bauunternehmen im Jahr 2019 mit der Errichtung einer Mehrzweck-Industriehalle. Das Fundament der Halle wurde durch Drittunternehmen errichtet. Wegen der ausstehenden Schlussrechnungsforderung verlangt die Klägerin von der Beklagten die Stellung einer Bauhandwerkersicherung. Eine Bauhandwerkersicherung kann gemäß § 650 Abs. 6 BGB jedoch nicht verlangt werden, wenn es sich um einen Verbraucherbauvertrag i. S. d. § 650i BGB handelt.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, es liege kein Verbraucherbauvertrag vor. Ein solcher komme nur infrage, wenn sich die Herstellungspflicht auf das Gebäude beziehe, wenn also sämtliche Leistungen aus einer Hand angeboten würden. Dies betreffe also Generalunternehmerverträge und Generalübernehmerverträge. Sofern mehrere Unternehmer an dem Vorhaben beteiligt seien, griffen die Schutzvorschriften des Verbraucherbauvertragsrechts nicht.

Die Beklagte stellt fest, sie sei ausschließlich mit der Kernleistung beauftragt gewesen, also mit der Errichtung der Halle oberhalb des Fundaments. Erdarbeiten, die Errichtung des Fundaments, die Herstellung der Prüfstatik und auch das Gewerk der Elektrik gehörten nicht zu ihrem Leistungsumfang.  Diese Leistungen seien durch die Beklagte anderweitig vergeben worden. Dies habe zur Folge, dass durch das einseitige Herauslösen von Einzelleistungen aus dem geplanten Gesamtwerk die eigenverantwortliche Werkerstellung im Gesamtumfang verhindert worden sei, was unweigerlich zum Verlust der Schutzvorschriften des Verbraucherbauvertragsrechts führe.

In diesen Fällen stehe der Verbraucher nicht einem, finanziell und wesensmäßig, überlegenen Unternehmer gegenüber. Vielmehr stehe der Verbraucher einer Mehrzahl von kleineren Unternehmen auf Augenhöhe gegenüber, sodass es des Schutzes der Verbrauchervertragsvorschriften nicht bedürfe. Hätte der Gesetzgeber eine entsprechende Einbeziehung gewollt, so hätte er diese auch ausdrücklich angeordnet.

Die Beklagte vertritt hingegen die Auffassung, dass es sich um einen Verbraucherbauvertrag handelt. Der Wortlaut der Vorschrift spreche dafür, auch bei der Vergabe von Einzelgewerken von einem Verbrauchervertrag auszugehen. Eine Beschränkung auf Generalunternehmer- oder Generalübernehmerverträge sei nicht erfolgt. Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, der lediglich kleinere Umbaumaßnahmen als ausgenommen angesehen habe.

§ 650i BGB diene gerade dem Verbraucherschutz, sodass eine restriktive Auslegung diesen konterkariere. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift zeigten, dass Verbraucher bei der Vergabe von Neubauarbeiten an Einzelgewerke vor mindestens genauso komplexe Fragestellungen gestellt würden wie bei dem Abschluss eines Generalunternehmer- oder Generalübernehmervertrags. Gleiches gelte für die wirtschaftliche Tragweite. Gerade der streitgegenständliche Vertrag mit einer Rechnungssumme von über 200.000 Euro zeige, dass auch bei der Vergabe von Einzelverträgen wirtschaftliche Dimensionen erreicht würden, die einen nicht unerheblichen Teil der Generalunternehmerverträge überstiegen.

Beachtlich sei auch, dass § 650f Abs. 6 Nr. 2 BGB an die Stelle des § 648a Abs. 6 Nr. 2 BGB getreten sei, der unstreitig auch einzelne Gewerke umfasst habe. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs sei gerade mit dem vom Gesetz intendierten Ausbau des Verbraucherschutzes nicht beabsichtigt gewesen.

Aus den Gründen:
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm kann ein Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i BGB auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen.

Bei gewerkeweiser Vergabe sei der Bauherr gegenüber den Behörden für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften in der Verantwortung. Sein finanzielles Risiko sei bei einer Gesamtbetrachtung wohl ebenfalls schutzwürdig, gerade wenn er im Einzelfall aus finanziellen Gründen gezwungen sei, einzelne Gewerke zeitlich gestaffelt und auch an verschiedene Unternehmer zu vergeben.

Zudem könne die Prüfung der finanziellen Rahmenbedingungen durch ein kreditgebendes Institut bei Einzelvergabe strenger erfolgen als im Rahmen der Finanzierung des Bauvertrags mit einem Generalunternehmer. Auch im Hinblick auf die strukturelle informationelle Unterlegenheit sei der Bauherr bei Einzelvergabe ebenso schutzwürdig wie ein Verbraucher, der die Bauerrichtung einem Generalunternehmer oder Generalübernehmer überlasse. Damit sei es aber wertungswidersprüchlich, die Einzelvergabe als nicht erfasst anzusehen, wohl aber die Beauftragung eines Generalunternehmers.

Bei einschränkender Auslegung böte sich dem Bauunternehmer die Möglichkeit, durch Aufspaltung eines an sich einheitlichen Werkvertrages in mehrere Einzelgewerksverträge sämtliche Verbraucherschutzvorschriften zu umgehen.

Beachtlich sei auch, dass nach § 650i Abs. 1 BGB auch Werkverträge über erhebliche Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude Verbraucherbauverträge sein könnten. Dann aber wäre sachlich nicht zu rechtfertigen, dass bei einer gewerkeweisen Vergabe kein Verbraucherbauvertrag anzunehmen wäre. Voraussetzung sei allerdings, dass die Beauftragung zeitgleich oder in engem zeitlichem Zusammenhang erfolge und die Erstellung eines neuen Gebäudes für den Unternehmer ersichtlich sei. Auch müssten die Gewerke zum Bau des neuen Gebäudes selbst beitragen.

Anmerkung:
Auch wenn sich das Oberlandesgericht Hamm eindeutig positioniert, bleibt die Frage, ob ein Verbraucherbauvertrag auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen kann, bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs offen.

(Quelle: VOBaktuell Heft IV/2021
RA Dr. Philipp Mesenburg)