Überschneidung von Vertragserfüllungs- und Mängelbürgschaft – Sicherungsabrede unwirksam

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Überschneidung von Vertragserfüllungs- und Mängelbürgschaft – Sicherungsabrede unwirksam
Urteil des Bundesgerichtshofs – VII ZR 159/19 – vom 16. Juli 2020

Leitsatz:
Ergibt sich aus den formularmäßigen Vertragsbestimmungen eines Bauvertrags für sich oder in ihrem Zusammenwirken, dass der Auftragnehmer für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Mängelansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit stellen muss, die 8 % der Auftragssumme beträgt, führt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers.

Der Bundesgerichtshof hat sich erneut mit einer formularmäßigen Vertragsbestimmung, die zu einer Überschneidung von Vertragserfüllungs- und Mängelbürgschaft führt, befasst. 

Sachverhalt:
Der öffentliche Auftraggeber beauftragte nach Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung ein Straßenbauunternehmen mit der Ausführung der Leistungen „Rohbau, Verkehrswege-, Entwässerungskanalbau und Straßentunnel offene Bauweise“. Als Bestandteil des Vertrags wurden unter anderem die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Besonderen Vertragsbedingungen vereinbart. Unter der Überschrift „Sicherheitsleistung (§ 17 VOB/B)“ enthielt Ziff. 4 BVB folgende Regelungen:

„4.1 Stellung der Sicherheit

Sicherheit für die Vertragserfüllung ist in Höhe von 5 v. H. der Auftragssumme zu leisten, sofern die Auftragssumme mindestens 250.000 Euro beträgt. Die für Mängelansprüche zu leistende Sicherheit beträgt 3 v. H. der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge.

Rückgabezeitpunkt für eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche (§ 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B): Nach Ablauf der Verjährungsfrist für alle Mängelansprüche.

Stellt der Auftragnehmer die Sicherheit für die Vertragserfüllung binnen 18 Werktagen nach Vertragsabschluss (Zugang des Auftragsschreibens) weder durch Hinterlegung noch durch Vorlage einer Bürgschaft, so ist der Auftraggeber berechtigt, Abschlagszahlungen einzubehalten, bis der Sicherheitsbetrag erreicht ist. Nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird.“

In dem unter Ziff. 4.3 BVB in Bezug genommenen Formblatt 421 heißt es unter anderem: „Nach den Bedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer Sicherheit für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten. Er leistet Sicherheit in Form dieser Bürgschaft.“

Unter Verwendung des Formblatts 421 übernahm die Bürgin mit Bürgschaftsurkunde unter Bezugnahme auf den Vertrag eine selbstschuldnerische Bürgschaft. Mit der Begründung, die Sicherungsabrede in Ziff. 4 BVB sei als Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam, forderte das Unternehmen den Auftraggeber erfolglos zur Rückgabe der Bürgschaft auf. Mit seiner Klage beantragt das Unternehmen die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde, die Freistellung von Avalprovisionen und den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Aus den Gründen:
Der Bundesgerichtshof erachtet die Vereinbarung der Parteien betreffend die Verpflichtung des Unternehmens zur Stellung einer Sicherheit für die Vertragserfüllung in Ziff. 4 BVB gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB für unwirksam. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus einer Gesamtwirkung mehrerer, jeweils für sich genommen nicht zu beanstandender Vertragsbestimmungen ergeben. Das sei etwa der Fall, wenn sich aus den vom Auftraggeber gestellten formularmäßigen Vertragsbestimmungen eines Bauvertrags – für sich oder in ihrem Zusammenwirken – ergibt, dass der Auftragnehmer für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Mängelansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit leisten muss, die jedenfalls nicht unwesentlich über 5 % der Auftragssumme liegt. Eine solche, der Höhe nach unangemessene Sicherheit könne sich dabei insbesondere daraus ergeben, dass nach dem Klauselwerk eine Sicherheit für die Vertragserfüllung, die auch nach Abnahme bestehende Mängelansprüche des Auftraggebers sichern soll, noch längere Zeit nach Abnahme nicht zurückgegeben werden müsse, während zugleich eine Sicherheit für Mängelansprüche verlangt werden könne, sodass es zu einer Überschneidung der beiden Sicherheiten kommt und dem Auftraggeber für etwaige Mängelansprüche sowohl die Sicherheit für die Vertragserfüllung als auch die Sicherheit für Mängelansprüche zur Verfügung stehen. 

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs kann Ziff. 4 BVB dahin verstanden werden, dass die mit dieser Klausel vereinbarte Sicherheit für die Vertragserfüllung auch nach Abnahme bestehende Mängelansprüche, die zugleich von der vereinbarten Sicherheit für Mängelansprüche erfasst werden, sichert. Ausgehend von diesem Verständnis ist die Klausel unwirksam. Allerdings hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, die Vereinbarung der Parteien eines Bauvertrags, nach der eine Vertragserfüllungsbürgschaft später durch eine Gewährleistungsbürgschaft ersetzt werden solle, spreche grundsätzlich dafür, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft sich nicht auf die nach Abnahme entstehenden Gewährleistungsansprüche erstrecke. Eine solche klare Abgrenzung kann nach Auffassung des Bundesgerichtshofs den Regelungen in Ziff. 4 BVB nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden. Aus Ziff. 4.1 Abs. 1 und 2 BVB ergebe sich nur, dass der Auftragnehmer eine Sicherheit für die Vertragserfüllung und eine Sicherheit für Mängelansprüche zu leisten hat, ohne näher zu definieren, welche Ansprüche von der jeweiligen Sicherheit erfasst sein sollen. Weiter sei in Ziff. 4.1 Abs. 5 BVB geregelt, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung nach Abnahme in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt werden kann, wenn alle bis dahin erhobenen Ansprüche erfüllt worden sind. Dies könnte dafür sprechen, dass mit der Sicherheit für die Vertragserfüllung nur die bis zur Abnahme entstandenen und geltend gemachten Ansprüche erfasst werden sollen. Eine eindeutige Auslegung dahin, dass nach Abnahme bestehende Mängelansprüche nicht von der Vertragserfüllungssicherheit erfasst sind, ist im Rahmen einer Gesamtschau der Klausel gemäß Ziff. 4 BVB aus Sicht des Bundesgerichtshofs dennoch nicht möglich. Denn in Ziff. 4.3 BVB sei weiter geregelt, dass bei Sicherheitsleistung durch Bürgschaft die Sicherheit für die Vertragserfüllung unter Verwendung des Formblatts „Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft – 421“ zu leisten ist. In dem in Bezug genommenen Formblatt heißt es weiter, dass der Auftragnehmer Sicherheit für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten hat. Diese Formulierung lasse aus Sicht eines durchschnittlichen Auftragnehmers den Schluss zu, dass zur Vertragserfüllung auch die Erfüllung der Mängelansprüche gehört und die Vertragserfüllungssicherheit – unabhängig davon, in welcher Form sie geleistet wird – demgemäß auch Mängelansprüche sichern soll. Die Auffassung des Auftraggebers, das in Ziff. 4.3 BVB in Bezug genommene Formblatt 421 beziehe sich nur auf „Mängelansprüche“ bis zur Abnahme, ist nicht zwingend, so der Bundesgerichtshof. Aus dem Wortlaut der Ziff. 4.3 BVB oder des in Rede stehenden Formblatts ergebe sich eine solche Unterscheidung nicht. Vielmehr werde der Ausdruck „Mängelansprüche“ sowohl für die Vertragserfüllungs- als auch für die Mängelansprüchebürgschaft ohne Differenzierung verwandt. Dies lege ein Verständnis nahe, dass die in § 13 VOB/B unter der Überschrift „Mängelansprüche“ geregelten Mängelansprüche nach Abnahme grundsätzlich von beiden Sicherheiten erfasst sein sollten. 

Die Klausel lässt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs weiter ein Verständnis zu, nach der es zu einer zeitlichen Überschneidung der nach Ziff. 4.1 BVB geschuldeten Sicherheiten für die Vertragserfüllung und für die Mängelansprüche kommen kann. Eine ausdrückliche Regelung zur Rückgabe der Sicherheit für die Vertragserfüllung sei in Ziff. 4 BVB nicht enthalten. In Ziff. 4.1 Abs. 5 BVB sei geregelt, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt werden kann, wenn alle bis dahin erhobenen Ansprüche erfüllt worden sind. Daraus folge, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung vorher auch nicht zurückgegeben werden muss. Dies könne dazu führen, dass der Auftraggeber die Vertragserfüllungssicherheit für einen nicht unerheblichen Zeitraum nach Abnahme behalten kann. Denn er könne durch das Erheben von Ansprüchen, ohne dass deren Berechtigung feststünde, das Entstehen des Anspruchs des Auftragnehmers auf Umwandlung in eine Sicherheit für Mängelansprüche oder auf Rückgabe für einen erheblichen Zeitraum hinausschieben. In diesem Zeitraum würden auch die nach Abnahme bestehenden Mängelansprüche von der Vertragserfüllungssicherheit gesichert. 

Erfasst die Sicherheit für die Vertragserfüllung – zumindest auf der Grundlage der kundenfeindlichsten Auslegung – auch nach Abnahme bestehende Mängelansprüche, kann es daher dazu kommen, dass der Auftragnehmer für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Mängelansprüche eine Sicherheit jedenfalls in Höhe von 8 % der Auftragssumme leisten müsse. Das ist durch das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nicht mehr gedeckt und führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers, so der Bundesgerichtshof abschließend.

Anmerkung:
Bei der Formulierung von Klauseln zur Bestellung einer Bürgschaft ist oberste Vorsicht geboten. Bei der Formulierung muss eindeutig zwischen den Ansprüchen, die die Vertragserfüllungsbürgschaft sichern soll, sowie den Ansprüchen, die die Mängelbürgschaft sichern soll, unterschieden werden. Insbesondere muss beachtet werden, dass es nicht zu einer Überschneidung der beiden Sicherheiten und damit zu einer Übersicherung des Auftraggebers kommt.

(Quelle: VOBaktuell Heft I/2021
RA Dr. Philipp Mesenburg und RÄ Dunja Salmen)