Keine Anordnung iSd § 650b BGB in der Mitteilung des Auftraggebers zum Baubeginn

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Leitsatz

1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 650d BGB auf Zahlung von 80 % einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 Satz 2 BGB genannten Mehrvergütung setzt voraus, dass der Auftraggeber eine Leistungsänderung angeordnet hat.

2. Haben die Parteien keine verbindlichen Vertragstermine vereinbart und teilt der Auftraggeber dem Auftragnehmer mit, mit den Bauarbeiten könne erst sechs Monate später als vorgesehen begonnen werden, liegt darin keine angeordnete Leistungsänderung, sondern die erstmalige Mitteilung über den Termin des Baubeginns.

Beschluss des LG Berlin – 19 O 34/20 – vom 20. April 2020

Fasst der Auftragnehmer eine Mitteilung des Auftraggebers über den (neuen) Baubeginn als Beschleunigungsanordnung iSd § 650b BGB auf und stellt er diesbezüglich Nachtragsforderungen, kann der Auftraggeber im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 650d BGB die Feststellung verlangen, dass er keine Anordnung getroffen hat und daher auch keine Mehrkosten nach § 650c BGB schuldet.

Sachverhalt
Die Auftraggeberin beauftragte die Auftragnehmerin als Generalunternehmerin mit dem Neubau einer Wohnanlage mit Verbrauchermarkt, Gewerbeeinheiten, Tiefgarage und Außenanlagen. Hierzu schlossen die Parteien einen Generalunternehmerpauschalvertrag („GU-Vertrag“) auf Basis der VOB/B. Bei Vertragsschluss war das Grundstück mit einem Bestandsgebäude bebaut. Dieses war zum Betrieb eines Verbrauchermarktes vermietet. Als Teil des Bauvorhabens sollte das Bestandsgebäude durch einen Neubau ersetzt werden. In § 7 des GU-Vertrages heißt es:

„7.1 Ausführungsfristen

Die Parteien vereinbaren folgenden Vertragstermin unter Berücksichtigung der folgenden Ausführungsfrist für den Verbrauchermarkt: 24 Monate zwischen Schließung des Marktes bis zur Eröffnung des Marktes (...). Baubeginn: 03.09.2018; Voraussetzung der vorgenannten Termine ist die AGseitige Kündigung des Verbrauchermarktes zum 31.05.2018“.

Die Baugenehmigung wurde am 27. September 2018 erteilt. Die Auftraggeberin kündigte den Mietvertrag mit dem Betreiber des Verbrauchermarktes nicht zum 31. Mai 2018, sondern einigte sich mit dem Betreiber des Verbrauchermarktes auf eine Auflösung des Mietverhältnisses erst zum 28. Februar 2019. Mit E-Mail vom 5. September 2018 teilte die Auftraggeberin der Auftragnehmerin mit, die Bauarbeiten könnten am 1. März 2019 begonnen werden.

Ca. 3 Monate vor Ausführungsbeginn übersandte die Auftragnehmerin der Auftraggeberin ein Nachtragsangebot über „Mehrkosten für Bauzeitverschiebung“ sowie „Mehrkosten für Preissteigerung“. Nachdem die Auftragnehmerin mit den Bauarbeiten begonnen hatte, führten die Parteien Verhandlungen über das Nachtragsangebot der Auftragnehmerin. Zu einer Einigung kam es nicht. Ein Jahr nach Baubeginn legte die Auftragnehmerin eine Abschlagsrechnung, in der sie die von ihr im Nachtragsangebot geltend gemachte zusätzliche Vergütung wegen Bauzeitverschiebung zu 80 % ansetzte. Unterschieden wurde hierbei zwischen „Mehrkosten für Bauzeitverschiebung“ und „Mehrkosten wegen Preissteigerungen“.

Mangels Zahlung der in der Abschlagsrechnung abgerechneten 80 % setzte die Auftragnehmerin der Auftraggeberin unter Kündigungsandrohung eine Frist zur Zahlung und zur Stellung einer Sicherheit. Hiergegen wehrte sich die Auftraggeberin, indem sie beim Landgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt beantragte, dass die Auftragnehmerin nicht berechtigt ist, die in der Abschlagsrechnung ausgewiesenen „Mehrkosten für Bauzeitverschiebung“ zu verlangen.

Aus den Gründen

Das Landgericht ist der Auffassung, dass die Auftragnehmerin nicht gemäß § 650c Abs. 3 BGB berechtigt war, die streitigen Positionen abzurechnen. Gemäß § 650c Abs. 3 S. 1 BGB könne der Unternehmer bei der Berechnung von vereinbarten oder gemäß § 632a BGB geschuldeten Abschlagszahlungen 80 % einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 S. 2 BGB genannten Mehrvergütung ansetzen, wenn sich die Parteien nicht über die Höhe geeinigt haben oder keine anderslautende gerichtliche Entscheidung ergeht. Grundlage der Abrechnung gemäß § 650c Abs. 3 BGB sei damit ein Angebot gemäß § 650b BGB. Dieses setze gemäß § 650b Abs. 1 BGB voraus, dass der Besteller eine Änderung des vereinbarten Werkerfolges oder eine Änderung, die zur Erreichung des Werkerfolges notwendig ist, begehrt hat. An einer solchen Anordnung fehle es hier.

Die Auftragnehmerin stütze die streitigen Mehrvergütungsforderungen darauf, dass mit den Bauarbeiten nicht am 3. September 2018, sondern auf die Mitteilung der Auftraggeberin vom 5. September 2018 erst im März 2019 begonnen wurde. Das LG Berlin sieht hierin aber keine Leistungsänderung im Sinne von § 650b Abs. 1 BGB. Voraussetzung der in § 7.1 des GU-Vertrages vereinbarten Ausführungstermine sei, dass die Auftraggeberin das Mietverhältnis mit dem Betreiber des Verbrauchermarktes zum 31. Mai 2018 kündigt. Dies sei nicht geschehen. Deshalb gelten die Ausführungstermine gemäß § 7.1 des GU-Vertrages vorliegend nicht. Zwar haben die Parteien diese ausdrücklich als Vertragstermine bezeichnet, so das LG Berlin. Eine Auslegung von § 7.1 des Vertrages ergebe aber, dass die Termine nur verbindlich sein sollen, wenn das Mietverhältnis zum 31. Mai 2018 gekündigt werde. Hierfür spreche die eindeutige Formulierung „Voraussetzung“. Der Hinweis auf die Kündigung des Mietverhältnisses in § 7.1 des GU-Vertrages sei daher nicht nur informatorisch zu verstehen. Abweichende Ausführungstermine für den Fall, dass das Mietverhältnis später gekündigt wird, hätten die Parteien nicht vereinbart. Das LG Berlin ist daher der Auffassung, dass im vorliegenden Fall keine verbindlichen Termine galten. Somit konnte in der Mitteilung, im März 2019 mit den Arbeiten zu beginnen, auch keine Änderung von Terminen liegen.

Aus den vorgenannten Gründen stellt die Mitteilung der Auftraggeberin vom 5. September 2018 keine Änderung, sondern eine erstmalige Mitteilung des Termins zum Beginn der Bauarbeiten dar. Der Anwendungsbereich von § 650b BGB und damit von § 650c Abs. 3 BGB ist danach nicht eröffnet, so das LG Berlin abschließend.

Ergänzend führt das LG Berlin aus, dass es der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes gemäß § 650d BGB nicht bedurfte. Die Vermutung des § 650d BGB setze eine Streitigkeit über eine Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB voraus. Dies erfasse auch Streitigkeiten über die Frage, ob dem Unternehmer überhaupt ein gemäß § 650c BGB anzupassender Vergütungsanspruch zusteht. Da die Auftragnehmerin sich ausdrücklich auf § 650c BGB berufen hat, bedurfte es der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes vorliegend nicht.

Im Wege der einstweiligen Verfügung war das Nichtbestehen eines Mehrvergütungsanspruchs gemäß § 650c Abs. 3 BGB festzustellen. Für eine darüber hinausgehende Feststellung, dass der Auftragnehmerin ein Anspruch auf Mehrvergütung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht, hat die Auftraggeberin keinen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht, so das LG Berlin. Die Vermutung des § 650d BGB gelte insoweit nicht. Sie ist auf Mehrvergütungsansprüche begrenzt, die auf § 650c BGB gestützt werden. Für Vergütungs- oder Ersatzansprüche, die auf anderen Rechtsgrundlagen wie
z. B. § 642 BGB beruhen, ist sie ihrem eindeutigen Wortlaut nach nicht anwendbar, so das LG Berlin klarstellend.

Anmerkung
Dies ist eine der ersten gerichtlichen Entscheidungen, die im einstweiligen Verfügungsverfahren, welches erst im Rahmen der Baurechtsreform zum 1. Januar 2018 ins BGB eingefügt wurde, ergangen ist. Im Rahmen der Entscheidung unterscheidet das Landgericht Berlin zwischen Vergütungsansprüchen, die sich aus § 650c BGB ergeben, und anderen Anspruchsgrundlagen, wie z. B. § 642 BGB. Nur bei Vergütungsansprüchen, die sich aus § 650c BGB ergeben, können sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 650d BGB beantragen.

(Quelle: VOBaktuell Heft III/2020
RA Dr. Philipp Mesenburg und RÄ Dunja Salmen)