Die Prüfung der Gleichwertigkeit von Angeboten ist zu dokumentieren

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Die Prüfung der Gleichwertigkeit von Angeboten ist zu dokumentieren
Beschluss der Vergabekammer des Bundes – VK 1-55/19 vom 19. August 2019 

Der Auftraggeber hat die Beurteilung der Gleichwertigkeit anhand der ausgeschriebenen Anforderungen nachvollziehbar zu dokumentieren. An einer nachvollziehbaren Dokumentation fehlt es, wenn die Vergabeakte lediglich die Feststellung enthält, ein Angebot sei gleichwertig.

(Nichtamtliche Leitsätze)

In der Entscheidung der Vergabekammer des Bundes ging es um die Frage, welche Teile einer Ausschreibung für die Festlegung des Leistungsinhalts maßgeblich sind, und um die Prüfungs- und Dokumentationspflicht des öffentlichen Auftraggebers mit Blick auf die Gleichwertigkeit des angebotenen Materials.

Sachverhalt:
In dem zugrunde liegenden Vergabeverfahren schrieb die Auftraggeberin die Herstellung, Lieferung und den Einbau von vorgefertigten Sanitärzellen („Fertignasszellen“) aus. Einziges Wertungskriterium war der Preis, Nebenangebote waren nicht zugelassen.

Als Auftragsgegenstand wurde in der EU-Bekanntmachung „Fertignasszellen in Leichtbetonweise“ angegeben und der CPV-Code 45223821 für Fertigbauelemente genannt. In der Angebotsaufforderung (Formblatt 211 EU) und den Besonderen Vertragsbedingungen (Formblatt 214 EU) wurde unter „Bezeichnung der Bauleistung“ bzw. in der Überschrift ebenfalls „Fertignasszellen in Leichtbetonweise“ genannt. Im Leistungsverzeichnis, das in seiner Kopfzeile mit „Fertignasszellen“ überschrieben ist, wurde unter der Überschrift „Allgemeines“ u. a. ausgeführt: „Die nachstehende Leistungsbeschreibung beschreibt eine kompakte Sanitärzelle in Betonbauweise mit Decke, Wänden und Fußboden als geschlossene Raumeinheit. Selbstverständlich können gleichwertige Lösungen angeboten werden.“ In den folgenden Unterpunkten des Leistungsverzeichnisses wird unter „Ausführung“, „Wände“, „Decke“ und „Boden“ das Material Leichtbeton erwähnt.

Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben elektronisch Angebote ab. Die von der Antragstellerin angebotenen Fertignasszellen sind aus Leichtbeton, die der Beigeladenen aus Stahl(-blech).

Laut Submission lag das Angebot der Beigeladenen preislich auf dem ersten Rang, das der Antragstellerin auf dem zweiten Rang.

Die Antragstellerin rügte erfolglos, dass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei, weil diese nicht wie gefordert Fertignasszellen in Leichtbetonbauweise angeboten habe, und beantragte anschließend die Nachprüfung.

Die Vergabekammer des Bundes gab ihr teilweise recht.

Aus den Gründen:
Das Angebot der Beigeladenen sei allerdings nicht bereits gemäß § 16 EU Nr. 2 i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen, weil die Nasszellen nicht aus Leichtbeton seien. Dieser Ausschlusstatbestand liege nur dann vor, wenn ein Bieter – anders als hier – eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbiete. Vielmehr könne ein Angebot auch dann den ausgeschriebenen Vorgaben entsprechen, wenn die betreffenden Nasszellen nicht aus Leichtbeton seien, denn die Auftraggeberin habe nicht vorgegeben, dass die anzubietenden Nasszellen ausschließlich aus diesem Material gefertigt werden dürften, sondern auch gleichwertige Materialien als leistungsverzeichniskonform zugelassen. Dies ergebe sich ausdrücklich aus dem für die Festlegung des Leistungsinhalts maßgeblichen Leistungsverzeichnis.

Gemäß § 121 GWB, § 7b EU VOB/A beschreibe ein öffentlicher Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung bzw. dem Leistungsverzeichnis den Auftragsgegenstand. Vorliegend habe die Auftraggeberin die zu erbringende Leistung im Leistungsverzeichnis als „Fertignasszellen“ ohne Vorgabe eines bestimmten Materials beschrieben. Es werde zwar darauf hingewiesen, dass im Folgenden die Anforderungen an „eine kompakte Sanitärzelle in Betonbauweise“ beschrieben würden, aber „selbstverständlich“ auch „gleichwertige Lösungen“ angeboten werden könnten. Diese Vorgabe sei eindeutig so zu verstehen, dass nicht nur Lösungen in Betonbauweise zulässig seien, sondern auch andere, sofern diese gleichwertig seien. Gleichzeitig erkläre diese Formulierung auch, warum im Folgenden das Material (Leicht- oder Normal-)Beton erwähnt werde, nämlich weil sich die Leistungsbeschreibung an diesem Material in einer Art Musteroder „Leitvorgabe“ orientiere. Die im Leistungsverzeichnis gewählten Formulierungen seien somit für sich genommen eindeutig, da sie gerade keine zwingende Vorgabe für eine Ausführung der Nasszellen in Leichtbetonbauweise enthielten, sondern diese Ausführungsvariante nur als beispielhaft kennzeichneten und ausdrücklich – im Leistungsverzeichnis zudem in Fettdruck hervorgehoben – „gleichwertige Lösungen“ zuließen.

Die in der Auftragsbekanntmachung und der Angebotsaufforderung enthaltene Bezeichnung „Fertignasszellen in Leichtbetonweise“ führe zu keiner anderen Bewertung. Denn das Leistungsverzeichnis sei bei der Bestimmung des Leistungsgegenstands vorrangig.

Zwar diene auch die Auftragsbekanntmachung der Unterrichtung potenzieller Bieter über den Leistungsgegenstand, allerdings nur in allgemeiner Form, während sich das konkret vom Auftraggeber Gewollte aus der Leistungsbeschreibung und dem Leistungsverzeichnis ergebe. Die Auftragsbekanntmachung beschreibe lediglich eine zulässige, aber eben nicht die einzig zulässige Ausführungsvariante von Fertignasszellen.

Die Angebotsaufforderung konkretisiere lediglich die Anforderungen an das abzugebende Angebot selbst (Form, Erklärungen und Nachweise etc.). Werde hierin der Auftragsgegenstand erwähnt, diene dies in erster Linie lediglich einer Kurzbezeichnung des Auftrags, um die Unterlagen eindeutig einem bestimmten Vergabeverfahren zuordnen zu können. Gegen die Maßgeblichkeit der Auftragsbekanntmachung und des Angebotsaufforderungsschreibens für die Bestimmung des Beschaffungsgegenstands spreche im Übrigen, dass die Bekanntmachung und die Angebotsaufforderung nicht Vertragsbestandteil würden, sondern regelmäßig vor allem die Leistungsbeschreibung/das Leistungsverzeichnis (§ 8 EU Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 7b EU VOB/A). Die Besonderen Vertragsbedingungen (Formblatt 214 EU) würden zwar Vertragsbestandteil, seien aber nicht für den Inhalt der ausgeschriebenen Leistung, sondern für andere Details der Auftragsausführung maßgeblich, wie Ausführungsfristen, Zahlungsbedingungen und Vertragsstrafen.

Das Angebot der Beigeladenen sei jedoch nur dann wertbar, wenn das angebotene Material gleichwertig sei. Die Auftraggeberin habe hierzu im Leistungsverzeichnis festgelegt, dass ein Angebot, das andere Materialien als den von der Auftraggeberin beispielhaft genannten Leichtbeton beinhalte, nur dann zuschlagsfähig sei, wenn das betreffende Material „gleichwertig“ zu Leichtbeton sei. Die Gleichwertigkeit des Angebots der Beigeladenen müsse die Auftraggeberin vor einer endgültigen Zuschlagsentscheidung anhand der ausgeschriebenen Anforderungen nachvollziehbar überprüfen und dokumentieren.

Die Vergabekammer könne jedoch nicht zweifelsfrei nachvollziehen, ob die Auftraggeberin eine solche Prüfung in hinreichendem Maße durchgeführt habe.

Zwar sei die Wertungsentscheidung eines öffentlichen Auftraggebers durch die Vergabekammer grundsätzlich nur eingeschränkt auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar. Mit diesem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers auf der einen Seite korrespondiere jedoch andererseits eine Begründungs- und Dokumentationspflicht (§ 20 EU VOB/A i. V. m. § 8 VgV) des Auftraggebers, um dessen Wertungsentscheidung transparent und für die Nachprüfungsinstanzen nachvollziehbar und damit überprüfbar zu machen. Vorliegend sei der Vergabekammer eine Überprüfung nicht möglich, weil die Vergabeakte lediglich die Feststellung enthalte, das Angebot der Beigeladenen sei gleichwertig. Weitere Begründungen, Erwägungen oder sonstige Ausführungen, aufgrund denen dieses Wertungsergebnis nachvollzogen werden könne, enthalte die Vergabeakte nicht.

Die Dokumentation eines Wertungsvorgangs könne zwar grundsätzlich auch im Nachprüfungsverfahren nachgeholt oder ergänzt werden. Jedoch habe die Auftraggeberin auch im Nachprüfungsverfahren die Gleichwertigkeit des Angebots der Beigeladenen lediglich behauptet, ohne diese Schlussfolgerungen näher zu begründen und sich hierbei insbesondere mit den einzelnen Anforderungen des Leistungsverzeichnisses vollständig und nachvollziehbar auseinanderzusetzen.

Praktische Auswirkungen:
Die Entscheidung der Vergabekammer zeigt, dass kein Weg daran vorbeiführt: Auftraggeber müssen ausführlich und nachvollziehbar ihre Entscheidungen in der Vergabeakte dokumentieren. Dies gilt selbstverständlich auch und gerade für die Begründung der Gleichwertigkeitsprüfung.

(Quelle: VOBaktuell Heft II/2020
Ass. jur. Anja Mundt)