BGH legt EuGH Fragen zur HOAI bei Verträgen zwischen Privaten vor

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Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a) AEUV folgende Fragen vorgelegt:

1. Folgt aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 260 Abs. 1 AEUV, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 der deutschen Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI), wonach die in dieser Honorarordnung statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen der Architekten und Ingenieure abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind?

2. Sofern Frage 1 verneint wird:
a) Liegt in der Regelung verbindlicher Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen von Architekten und Ingenieuren in § 7 HOAI durch die Bundesrepublik Deutschland ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts? 

b) Sofern Frage 2 a) bejaht wird: Folgt aus einem solchen Verstoß, dass in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen die nationalen Regelungen über verbindliche Mindestsätze (hier: § 7 HOAI) nicht mehr anzuwenden sind?

Der Bundesgerichtshof hat ein Verfahren über die Vergütung eines Ingenieurs ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zu den Folgen der vom EuGH angenommenen Rechtswidrigkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI für Verträge zwischen Privatpersonen (vgl. Urteil des EuGH vom 04.07.2019 (C-377/17)) vorgelegt. Das Urteil des EuGH vom 04.07.2019 war Gegenstand der Urteilsbesprechung in der Ausgabe VOB aktuell IV/2019.

Sachverhalt
Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, schloss 2016 einen Ingenieurvertrag mit der Beklagten. Hiernach verpflichtete sich der Kläger gegen Zahlung eines Pauschalhonorars von ca. 55.000,– € zur Erbringung von im Einzelnen aufgeführten Leistungen gemäß § 55 der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom 10.07.2013 (im Folgenden: HOAI).

Auf zwei Abschlagsrechnungen des Klägers, die jeweils auf Grundlage des vereinbarten Pauschalhonorars erstellt waren, leistete die Beklagte Zahlungen in Höhe von insgesamt knapp 55.400,– € brutto.

Nachdem der Kläger den Ingenieurvertrag 2017 gekündigt hatte, rechnete er im Folgenden seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der Mindestsätze gemäß §§ 55, 56 HOAI ab. Mit der Klage hat er die nach Abzug der geleisteten Zahlungen und eines Sicherheitseinbehalts aus der Schlussrechnung noch offene Restforderung in Höhe von knapp 103.000,– € brutto geltend gemacht.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von ca. 100.000,– € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von knapp 97.000,– € verurteilt. Beide Instanzen haben die im Ingenieurvertrag getroffene Pauschalpreisvereinbarung wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht für unwirksam erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Aus den Gründen
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 04.072019 festgestellt, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat, dass es verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. Der Erfolg der Revision der Beklagten hängt nunmehr davon ab, ob sich aus der Auslegung des Unionsrechts im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI auf den Vertrag der Parteien nicht mehr anzuwenden sind. Hält man § 7 HOAI trotz des Verstoßes gegen das Unionsrecht weiterhin für anwendbar, dann sind die Mindestsätze der HOAI – abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen – verbindlich und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung ist danach unwirksam. Andere Gerichte vertraten in entsprechenden Streitigkeiten jedoch die Auffassung, dass die Mindestsätze sofort unzulässig und damit nicht mehr anwendbar sind. Aufgrund der gegenläufigen Rechtsauffassungen in Rechtsprechung und Literatur hat der Bundesgerichtshof vor einer Entscheidung in dieser Streitigkeit das Verfahren ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs kann eine Unverbindlichkeit der Mindestsätze der HOAI und die Wirksamkeit einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung im Verhältnis zwischen Privatpersonen nicht mit einer richtlinienkonformen Auslegung begründet werden. Die Entscheidung über die Revision hängt nach Auffassung des Senats daher maßgeblich von der Beantwortung der dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegten Frage ab, ob Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI, wonach die in dieser Honorarordnung statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen der Architekten und Ingenieure abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind (Vorlagefrage zu 1). Wäre diese Frage zu bejahen, hätte die Revision der beklagten Auftraggeberin Erfolg. Denn der nach nationalem Recht bestehende – das vereinbarte Pauschalhonorar übersteigende – Honoraranspruch des Klägers auf der Grundlage der Mindestsätze der HOAI wäre bei einer aufgrund des Urteils des EuGH folgenden Nichtanwendung des § 7 HOAI unbegründet.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefrage 1 bislang nicht entschieden, sondern sie bislang ausdrücklich offengelassen. Angesichts zahlreicher gegenläufiger obergerichtlicher Entscheidungen sowie Meinungsäußerungen im Schrifttum, ist die Beantwortung der Frage auch entscheidungserheblich. Nach einer Auffassung sind die Vorschriften zu den Mindestsätzen in der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen durch die deutschen Gerichte nicht mehr anzuwenden. Nach anderer Ansicht haben die Mindestsätze der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiterhin Geltung, bis der nationale Gesetz- und Verordnungsgeber den verbindlichen Preisrahmen aufhebt. Der mit der Entscheidung befasste Senat verweist darauf, dass er dazu neigt, der zuletzt genannten Auffassung zu folgen und keine unmittelbare Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie in der Weise anzunehmen, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen nicht mehr angewandt werden können.

Anmerkung
Ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH dauert rund ein Jahr nach Eingang der Vorlageentscheidung. Die zuständigen Ressorts der Bundesregierung arbeiten derzeit an einer Anpassung der HOAI an die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 (C-377/17). Hierzu hat das Bundeswirtschaftsministerium nun den Entwurf einer Verordnung zur Änderung der HOAI vorgelegt. Es sind u. a. folgende Änderungen enthalten:

  • Die Honorare für die von der HOAI erfassten Architekten und Ingenieurleistungen sollen frei vereinbar sein und sich nach der Honorarvereinbarung der Vertragsparteien richten. Zur Erleichterung des Abschlusses wirksamer Honorarvereinbarungen werden die Formanforderungen der HOAI reduziert.
  • Um den Parteien eine Honorarorientierung zu geben, bleiben die Grundlagen und Maßstäbe zur Honorarermittlung der HOAI erhalten und die derzeitigen Honorartafeln werden als Orientierungshilfe ausgestaltet. Es steht den Parteien frei, Methoden zu vereinbaren, nach denen das Honorar im Einzelfall ermittelt werden soll. Alternativ können sie aber auch vereinbaren, dass auch künftig die Honorartafeln zur Honorarermittlung herangezogen werden sollen.

Der Gesetzgeber plant, die veränderte HOAI am 01.01.2021 in Kraft treten zu lassen.

(Quelle: VOBaktuell Heft IV/2020
RA Dr. Philipp Mesenburg und RÄ Dunja Salmen)