Bestimmung der Höhe einer Bauhandwerkersicherung ohne einvernehmlich prognostizierte Gesamtvergütung

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Bestimmung der Höhe einer Bauhandwerkersicherung ohne einvernehmlich prognostizierte Gesamtvergütung
Urteil des KG – 21 U 110/24 – vom 18. März 2025

Leitsätze
1. Haben die Parteien eines Bauvertrags eine Vergütung nach Einheitspreisen vereinbart, ist die Höhe des Sicherungsanspruchs gemäß § 650f Abs. 1 S. 1 BGB wenn möglich auf Grundlage der einvernehmlichen Prognose der Parteien über die Gesamthöhe der Vergütung zu bestimmen, die in einem Leistungsverzeichnis oder einem Kostenanschlag enthalten sein kann.

2. Fehlt es an einer einvernehmlichen Prognose der Parteien über die Gesamthöhe der Vergütung, ist es für die Höhe des Sicherheitsanspruchs gemäß § 650f Abs. 1 S. 1 BGB maßgeblich, wie die Gesamtvergütungshöhe aus Sicht einer objektiven Partei auf Basis der Vereinbarung bei Vertragsschluss zu veranschlagen gewesen wäre.

3. Alternativ dazu kann der Unternehmer in einem solchen Fall die Sicherungshöhe gemäß § 650f Abs. 1. S. 1 BGB auch darlegen, indem er schlüssig vorträgt, welche Leistungen er bislang tatsächlich erbracht hat und wie diese preislich zu bewerten sind.

Das KG hat in seinem Urteil zur Bestimmung der Höhe einer Bauhandwerkersicherung ohne einvernehmlich prognostizierte Gesamtvergütung Stellung genommen.

Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Bauhandwerkersicherung aus § 650f BGB in Anspruch.
    
Die Klägerin ist ein Bauunternehmen, das insbesondere Elektroinstallationen ausführt. Die Beklagte errichtete das Bauvorhaben „T“, einen Komplex aus mehreren Geschäfts- und Bürogebäuden in Berlin. 

Am 8. und 9. Mai 2019 schlossen die Parteien einen Rahmenvertrag mit der Vertragsnummer VE 444010 (im Folgenden: Rahmenvertrag VE 444010).

Am 24. Februar/4. März 2021 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit „Lieferung und Montage der Elektroinstallation“ in bestimmten Bereichen des Bauvorhabens. Der Vertrag trägt die Vertragsnummer VE 442001 (im Folgenden: Vertrag VE 442001).

Die Beklagte beauftragte die Klägerin noch in weiteren Verträgen mit Leistungen bei dem Bauvorhaben. In den Bereichen „D“ und „H“ des Bauvorhabens sollten vor den Fenstern elektrisch betriebene Rollos als Sonnenschutz angebracht werden. In dem Leistungsverzeichnis, das Bestandteil des Vertrags 442001 ist, wird die Lieferung und der Anschluss von Steuerungselementen für diesen Sonnenschutz nicht aufgeführt. Die Parteien waren sich gleichwohl einig, dass die Klägerin diese Steuerungselemente liefern und anschließen solle.

Am 9. Februar 2022 übermittelte der Geschäftsführer der Klägerin der Beklagten per Mail ein Angebot für „die fehlende ausgeschriebene Steuerung“. Am 11. Februar 2022 schrieb der Geschäftsführer der Beklagten dem Geschäftsführer der Klägerin eine Mail, in der er u. a. die Lieferung und den Einbau der Sonnenschutzsteuerungen nach den Vergütungsregelungen des Rahmenvertrags VE 444010 abrief. In der Folgezeit lieferte die Klägerin die Sonnenschutzsteuerungen in der geforderten Anzahl, baute sie in den gewünschten Bereichen D und H ein und schloss sie an das Stromnetz an.

Unter dem 4. Juli 2023 übermittelte die Klägerin der Beklagten den Entwurf einer Schlussrechnung, wonach ihr gemäß des Rahmenvertrags VE 444010 für Lieferung und Montage der Sonnenschutzsteuerung eine Vergütung von 320.330,08 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 10.406,44 € zustünden. 

Ferner forderte die Klägerin die Beklagte am 4. Juli 2023 dazu auf, ihr bis zum 18. Juli 2023 eine Sicherheit gemäß § 650f BGB über 350.000,00 € zu stellen. Am 26. Juli 2023 wiederholte ihr Prozessbevollmächtigter diese Forderung. Die Beklagte leistete der Klägerin keine Sicherheit.

Mit ihrer Klage beansprucht die Klägerin u. a. eine Sicherheitsleistung gemäß § 650f BGB in Höhe von 30.000,00 € für ihre Vergütung wegen der Sonnenschutzsteuerungen. Mit Urteil vom 18. Juni 2024 hat das Landgericht Berlin II die Beklagte antragsgemäß zur Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 € für den Vergütungsanspruch der Klägerin verurteilt, der sich aus der Mail der Beklagten vom 11. Februar 2022 für die Herstellung der genannten Sonnenschutzsteuerung ergebe.

Aus den Gründen
Die Berufung der Beklagten habe keinen Erfolg. Das Landgericht habe die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin eine Sicherheitsleistung gemäß § 650f BGB in Höhe von 30.000,00 € zu leisten.

Die Klägerin habe aus dem Vertrag, der aufgrund des Leistungsabrufs der Beklagten per Mail vom 11. Februar 2022 zustande kam, einen Vergütungsanspruch in Höhe von mindestens 27.272,73 € gegen die Beklagte, §§ 631 Abs. 1, 650a BGB. Weil es sich bei dem Vertrag um einen Bauvertrag handele, stehe der Klägerin somit in dieser Höhe zuzüglich 10 %, also in Höhe von mindestens 30.000,00 €, ein Sicherungsanspruch aus § 650f Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zu.

Zwischen den Parteien sei ein Bauvertrag zustande gekommen, in dem die Beklagte die Klägerin mit Lieferung und Montage der Steuerungselemente für den Sonnenschutz in den Bauteilen D und H beauftragte. Der Geschäftsführer der Klägerin übermittelte per Mail vom 9. Februar 2022 der Beklagten ein Angebot für Lieferung und Einbau der Sonnenschutzsteuerungen. Daraufhin teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Geschäftsführer der Klägerin am 11. Februar 2022 per Mail mit, Lieferung und Einbau der Sonnenschutzsteuerungen nach den Vergütungsregelungen des Rahmenvertrags VE 444010 abzurufen. Da die Vergütungsregelungen des Rahmenvertrags im Zweifel von dem vorherigen Angebot der Klägerin abwichen, liege in der Mail des Geschäftsführers der Beklagten ein neues Vertragsangebot (§ 150 Abs. 2 BGB) vor. Dieses Angebot habe die Klägerin angenommen, indem sie in der Folgezeit die von der Beklagten abgerufenen Arbeiten ausführte bzw. – soweit sie mit ihnen schon begonnen hätte – diese fortsetzte.

Der so zustande gekommene Vertrag sei ein Bauvertrag. Bei der beauftragten Leistung – „Lieferung, Montage, Programmierung und Inbetriebnahme“ der Sonnenschutzsteuerung für 775 Jalousiemotoren inkl. Zentrale – handele es sich um ein Bauwerk (wobei „Bauwerk“ als „gebaute“ oder „eingebaute Leistung“, nicht als „Gebäude“ zu verstehen sei). Gegen die Annahme eines Bauwerks spreche nicht, dass die Klägerin in dem Vertrag auch zur Lieferung von Bauteilen und Materialien (hier etwa von Steuerungseinheiten und Kabeln) verpflichtet werde. So verhalte es sich regelmäßig bei Bauverträgen, solange das zu verbauende Material nicht ausnahmsweise vollständig vom Auftraggeber gestellt werde.

Die Klägerin habe schlüssig dargelegt, dass ihr aus dem Vertrag, der aufgrund der Mail der Beklagten vom 11. Februar 2022 zustande kam, eine Vergütung von mindestens 27.272,73 € gegen die Beklagte zustehe. Diese schlüssige Darlegung sei für den vorliegenden Sicherungsprozess grundsätzlich allein maßgeblich, das Bestreiten der Beklagten habe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs außer Betracht zu bleiben.

Maßgeblich für die Höhe des Sicherungsanspruchs aus § 650f Abs. 1 BGB sei die vereinbarte Vergütung. Damit ist die Gesamthöhe der Vergütung für sämtliche beauftragten Leistungen gemeint, wie sie sich aus der Vereinbarung ergebe; ob diese Leistungen bereits erbracht seien, sei für den Sicherungsanspruch aus § 650f Abs. 1 BGB – anders als bei dem Sicherungsanspruch aus § 650e BGB – unerheblich.

Allerdings hätten die Parteien eines Bauvertrags nur dann eine bezifferte Vereinbarung über die Gesamthöhe der Vergütung für die Vertragsleistungen (vorbehaltlich Leistungsänderungen und Zusatzvereinbarungen) getroffen, wenn sie die Vergütung pauschaliert hätten. Bei allen anderen Vergütungsformen fehle es an einer einvernehmlichen Bezifferung der Gesamtvergütung für die Vertragsleistungen. In diesen Fällen sei die vom Unternehmer in einem Sicherungsprozess schlüssig darzulegende vereinbarte Vergütung im Sinne von § 650f Abs. 1 S. 1 BGB wie folgt zu bestimmen:

Gäbe es eine einvernehmliche Prognose der Parteien über die voraussichtliche Gesamthöhe der Vergütung, sei diese maßgeblich und vorzutragen. Dies wäre die Gesamtsumme eines Leistungsverzeichnisses mit Einheitspreisen (bei dem die tatsächlich anfallenden Mengen noch nicht feststünden) oder eines anderen Kostenanschlags, den die Parteien ihrem Vertrag zugrunde gelegt hätten.

Allerdings gäbe es auch Bauverträge, bei denen es an einer einvernehmlichen Prognose der Parteien über die Höhe der Gesamtvergütung fehle. So verhalte es sich beispielsweise, wenn sie als Vergütung nur Stundenlohn nach einem bestimmten Satz ohne Angaben zur voraussichtlichen Stundenzahl oder die Erstattung von Aufwendungen mit einem Zuschlag („Cost plus fee“) ohne Veranschlagung eines Gesamtbetrags vereinbart hätten. Das Gleiche gelte bei der Vereinbarung der unbezifferten üblichen Vergütung (§ 632 Abs. 2 BGB). In Ermangelung einer gemeinsamen Prognose der Gesamtvergütungshöhe müsse sich die Höhe der vereinbarten Vergütung in einem solchen Fall grundsätzlich danach richten, wie aus Sicht einer objektiven Partei bei Vertragsschluss die Gesamtvergütungshöhe auf Basis der Elemente der Vergütungsvereinbarung zu veranschlagen wäre. Es sei nicht erkennbar, wie die Sicherheit nach § 650f BGB in einem solchen Fall sonst vor Beginn der Leistungsausführung oder bei einem niedrigen Leistungsstand der Höhe nach bestimmt werden könnte.

Begehre der Unternehmer bei einem Bauvertrag ohne einvernehmlich prognostizierte Gesamtvergütung eine Sicherheit gemäß § 650f BGB, müsse er folglich grundsätzlich schlüssig vortragen, wie hoch diese Gesamtvergütung aus objektiver Sicht bei Vertragsschluss zu veranschlagen gewesen wäre. Alternativ könne ein Unternehmer in einem solchen Fall aber auch schlüssig vortragen, welche Leistungen er bislang tatsächlich erbracht hat. Denn in diesem Vortrag liege im Zweifel zugleich die Behauptung, dass bei der – eigentlich maßgeblichen – objektiven Prognose wenigstens dieser (nunmehr tatsächlich erreichte) Leistungsstand für die Gesamthöhe der Vergütung angesetzt worden wäre.

Der Bauvertrag zwischen den Parteien, der auf Grundlage der Mail des Geschäftsführers der Beklagten vom 11. Februar 2022 zustande gekommen sei, enthalte keine einvernehmliche Prognose der vereinbarten Gesamtvergütung, sondern gemäß dem Rahmenvertrag VE 444010 nur die Vereinbarung eines Stundenlohnsatzes und der Aufwandserstattung zuzüglich eines Zuschlags. Somit könne die Klägerin die Höhe der vereinbarten Vergütung gemäß § 650f Abs. 1 S. 1 BGB schlüssig vortragen, indem sie den Umfang ihrer erbrachten Leistungen darlege. Darin liege zugleich die Behauptung, dass die sich daraus ergebende Vergütungshöhe auch bei Vertragsschluss aus objektiver Sicht so prognostiziert werden musste, worauf es entscheidend ankomme.

Anmerkung
Das Kammergericht hat umfassend erläutert, wie ein Auftragnehmer die Höhe der Bauhandwerkersicherung nach § 650f Abs. 1 S. 1 BGB zu bestimmen hat. Haben danach die Parteien eines Bauvertrags eine Vergütung nach Einheitspreisen vereinbart, ist die Höhe des Sicherungsanspruchs auf Grundlage der einvernehmlichen Prognose der Parteien über die Gesamthöhe der Vergütung zu bestimmen, die in einem Leistungsverzeichnis oder einem Kostenanschlag enthalten sein kann. Fehlt es hingegen an einer einvernehmlichen Prognose der Parteien über die Gesamthöhe der Vergütung, ist es maßgeblich, wie die Gesamtvergütungshöhe aus Sicht einer objektiven Partei auf Basis der Vereinbarung bei Vertragsschluss zu veranschlagen gewesen wäre. Alternativ dazu kann der Unternehmer in einem solchen Fall die Sicherungshöhe auch darlegen, indem er schlüssig vorträgt, welche Leistungen er bislang tatsächlich erbracht hat und wie diese preislich zu bewerten sind. Das KG gibt Auftragnehmern damit eine feste Struktur, wie sie die Sicherungshöhe bei § 650f Abs. 1 S. 1 BGB schlüssig darlegen können. Fehlt es an einer einvernehmlichen Prognose der Parteien über die Gesamthöhe der Vergütung, schließt dies – wie im vorliegenden Fall – die Geltendmachung einer Bauhandwerkersicherung nicht per se aus. Dann hat der Auftragnehmer nach wie vor die Möglichkeit, seinen Sicherungsanspruch nach § 650f BGB schlüssig darzulegen. Das Urteil stärkt daher die Rechtsposition von Auftragnehmern für die Sicherung ihrer Vergütungsansprüche über § 650f BGB.

(Quelle: VOBaktuell Heft II/2025
RA Dr. Philipp Mesenburg / RA Christian Schostag)