Auslegung der Abrechnungssumme einer Vertragsstrafe

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Auslegung der Abrechnungssumme einer Vertragsstrafe
Urteil des BGH – VII ZR 176/20 – vom 5. Mai 2022

Orientierungssatz:
Bei einer Vertragsstrafenregelung ist der Begriff „Abrechnungssumme“ in einer vom Besteller gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingung als Nettobetrag zu verstehen.

Der Bundesgerichtshof musste über die Frage entscheiden, ob die Vereinbarung einer Vertragsstrafenklausel mit Bezugnahme auf die „Abrechnungssumme“ in einer vom Besteller gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingung als Brutto- oder Nettobetrag zu verstehen ist.

Sachverhalt:
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns. Die Beklagte erklärte – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe wegen verspäteter Fertigstellung i. H. v. 23.870,30 EUR.

Die Klägerin erhielt von der Beklagten im Februar 2006 den Zuschlag für die Sanierung bühnentechnischer Einrichtungen. In den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag sind unter anderem die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten (BVB) einbezogen. Nach Nr. 4.10.0 der BVB war eine Ausführungsfrist bis zum 13. Oktober 2006 einzuhalten. Nr. 11.1.0 der BVB lautet wie folgt: „Wird der vereinbarte Fertigstellungstermin durch Verschulden des Auftragnehmers überschritten, so hat dieser eine Vertragsstrafe für jeden Werktag der Verspätung i. H. v. 0,2 % der Abrechnungssumme, höchstens jedoch 5 % der Abrechnungssumme zu zahlen.“

Die Sanierungsarbeiten wurden im Juli 2007 fertiggestellt. Die Beklagte nahm die Leistungen der Klägerin mit Ausnahme des Bühnenbodens ab und behielt sich ausweislich der erstellten „Teil-Abnahmebescheinigungen“ vom 1. August 2007 im Abnahmetermin vor, die vereinbarte Vertragsstrafe geltend zu machen. Die Klägerin forderte die Beklagte in der Folge unter Fristsetzung bis zum 15. Februar 2008 erfolglos zur Abnahme des Bühnenbodens auf. Mit Schlussrechnung vom 28. Juni 2009 rechnete die Klägerin ihre Vergütung i. H. v. 2.990.069,18 EUR (2.512.663,18 EUR zzgl. USt) ab und verlangte von der Beklagten den nach Abzug bereits erfolgter Zahlungen verbleibenden restlichen Werklohn. Die Parteien stritten über die Berechtigung der von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Vertragsstrafe.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung restlichen Werklohns i. H. v. 571.798,51 EUR nebst Zinsen verurteilt. Es hat die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe i. H. v. 149.503,45 EUR für unbegründet erachtet, weil die Klausel in Nr. 11.1.0 der BVB der Inhaltskontrolle nicht standhalte.

Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 446.165,36 EUR nebst Zinsen verurteilt. Es hat abweichend vom Landgericht die von der Bekl. erklärte Aufrechnung mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe i. H. v. 125.633,15 EUR für begründet erachtet.

Die Beklagte verfolgte mit der Revision nunmehr noch das Ziel der Klageabweisung i. H. v. weiteren 23.870,30 EUR aufgrund der Aufrechnung mit dem Anspruch auf Vertragsstrafe (149.503,45 EUR abzgl. bereits zuerkannter 125.633,15 EUR). Die zulässige Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:
Die Werklohnforderung der Klägerin sei nicht in Höhe eines weiteren Betrags von 23.870,30 EUR wegen der von der Beklagten erklärten Aufrechnung mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe gem. Nr. 11.1.0 der BVB erloschen. Es könne dahinstehen, ob die Vertragsstrafenklausel in Nr. 11.1.0 der BVB der Inhaltskontrolle gem. § 307 II Nr. 1 BGB oder § 307 I 1 und 2 BGB nicht standhält und deshalb insgesamt unwirksam ist. Denn die Beklagte habe gegen die Klägerin nach dieser Klausel jedenfalls keinen höheren als den vom Berufungsgericht bereits rechtskräftig zuerkannten Anspruch auf Vertragsstrafe.

Bei der Vertragsstrafenklausel in Nr. 11.1.0 der BVB handele es sich nach den unangegriffenen und rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die die Beklagte der Klägerin gestellt hat, § 305 I 1 BGB. Das Berufungsgericht habe zu Recht angenommen, die Vertragsstrafenklausel in Nr. 11.1.0 der BVB könne nicht eindeutig dahin ausgelegt werden, dass mit der als Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Vertragsstrafe vorgesehenen „Abrechnungssumme“ die Brutto-Abrechnungssumme gemeint sei.

Allgemeine Geschäftsbedingungen seien nach ständiger Rechtsprechung des BGH nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei seien die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Seien danach mehrere Auslegungen rechtlich vertretbar, gehen Zweifel bei der Auslegung gem. § 305 c II BGB zulasten des Verwenders.

Mit „Abrechnungssumme“ könne grundsätzlich sowohl die Brutto-Abrechnungssumme als auch die Netto-Abrechnungssumme gemeint sein. Die Revision könne sich nicht auf ein übereinstimmendes Verständnis der beteiligten Verkehrskreise – hier: in der Baubranche tätige Unternehmer und öffentliche Auftraggeber – in Bezug auf den Begriff „Abrechnungssumme“ stützen. Auch für den Fall, dass eine Vergütung zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart und dementsprechend in der Schlussrechnung abgerechnet werde, lasse sich nicht feststellen, dass der Begriff „Abrechnungssumme“ in einer Vertragsstrafenklausel aus Sicht der beteiligten Verkehrskreise typischerweise als Brutto-Abrechnungssumme verstanden werde. So hat der Bundesgerichtshof hinsichtlich einer von der öffentlichen Hand verwendeten Klausel betreffend pauschalierten Schadensersatz entschieden, dass der Begriff „Abrechnungssumme“ im unternehmerischen Verkehr ohne Weiteres dahin zu verstehen sei, dass diese die Umsatzsteuer nicht einschließe, weil im unternehmerischen Verkehr die Vertragspartner typischerweise zum Vorsteuerabzug berechtigt seien. Bereits hieraus ergebe sich, dass im Streitfall eine Auslegung des Begriffs „Abrechnungssumme“ als Netto-Abrechnungssumme ernsthaft in Betracht komme. Der baurechtlichen Rechtsprechung und Literatur sei insoweit ebenfalls kein einheitliches Verständnis der beteiligten Verkehrskreise im Sinne der Revision zu entnehmen.

Auch aus den sonstigen Bestimmungen des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags ergebe sich nicht, dass mit dem in Nr. 11.1.0 der BVB verwendeten Begriff „Abrechnungssumme“ eindeutig an die Brutto-Abrechnungssumme angeknüpft werden sollte. So führten die in den Vertrag einbezogenen Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten an anderer Stelle, nämlich in Nr. 7.1.0 der BVB (Bauleistungsversicherung) und in Nr. 17.1.0 der BVB (Gewährleistungsbürgschaft) – anders als in Nr. 11.1.0 der BVB – ausdrücklich die Brutto-Abrechnungssumme als Anknüpfungspunkt für die jeweilige Berechnung an. Dies möge – wie die Revision meint – dahin verstanden werden können, dass der Begriff „Brutto-Abrechnungssumme“ nur die ausführlichere Version des Begriffs „Abrechnungssumme“ sein und in den Besonderen Vertragsbedingungen stets an die Brutto-Abrechnungssumme angeknüpft werden solle. Aus der abweichenden Formulierung in Nrn. 7.1.0 und 17.1.0 der BVB könne aber auch der Schluss gezogen werden, dass der in Nr. 11.1.0 der BVB verwendete Begriff „Abrechnungssumme“ im Gegensatz dazu als Netto-Abrechnungssumme zu verstehen sei.

Danach sei der Begriff „Abrechnungssumme“ in Nr. 11.1.0 der BVB in Bezug auf die Frage, ob dieser die Umsatzsteuer einschließe, zumindest mehrdeutig i. S. d § 305 c II BGB, mit der Folge, dass Zweifel bei der Auslegung zulasten der Beklagten als Verwenderin gingen. Dabei gelte auch im Individualprozess, dass nach der Auslegungsregel des § 305 c II BGB grundsätzlich die „kundenfeindlichste“ Auslegung zugrunde zu legen sei, wenn diese im Rahmen einer vorzunehmenden Inhaltskontrolle zur Unwirksamkeit der Klausel führe und dadurch den Vertragspartner des Verwenders begünstige.

Im Streitfall brauche indes nicht entschieden zu werden, ob – wie die Klägerin meint – Nr. 11.1.0 der BVB bei „kundenfeindlichster“ Auslegung des Begriffs „Abrechnungssumme“ als Brutto-Abrechnungssumme wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin im Hinblick auf die Höhe der Vertragsstrafe insgesamt unwirksam sei. Ferner könne offenbleiben, ob – wie die Klägerin ebenfalls geltend macht – die Verwendung des Begriffs „Abrechnungssumme“ zur Intransparenz der Klausel und damit zu deren Unwirksamkeit gem. § 307 I 1 und 2 BGB führe oder ob die Klausel der Inhaltskontrolle wegen einer Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der § 340 II, § 341 II BGB nicht standhalte, § 307 II Nr. 1 BGB. Denn nach der Auslegungsregel des § 305 c II BGB greift – sofern die Wirksamkeit von Nr. 11.1.0 der BVB zugunsten der Bekl. unterstellt werde – der Grundsatz, dass die Auslegung maßgebend sei, durch die die Klägerin als Vertragspartnerin der Verwenderin begünstigt werde. Danach sei der Begriff „Abrechnungssumme“ indes zugunsten der Klägerin als Netto-Abrechnungssumme auszulegen mit der Folge, dass die Beklagte keinen höheren als den bereits rechtskräftig zuerkannten Anspruch auf Vertragsstrafe habe.

Anmerkung
Die Entscheidung des BGH, im Rahmen der Vereinbarung einer Vertragsstrafe, bei der die Wirksamkeit unterstellt wurde, die Abrechnungssumme als Nettobetrag anzusehen, begünstigt im Ergebnis finanziell den Auftragnehmer. Dieser muss bei Vorliegen der Voraussetzungen der Vertragsstrafe nicht zusätzlich den Umsatzsteuerbetrag zahlen. Als Auftragnehmer bietet es sich daher an, bei einer zu zahlenden Vertragsstrafe zu prüfen, ob lediglich der prozentuale Nettobetrag der Auftragssumme geschuldet ist. Etwaige Unsicherheiten können im Übrigen durch Vereinbarung einer klaren Vertragsstrafenregelung von vornherein ausgeschlossen werden.

(Quelle: VOBaktuell Heft IV/2022
RA Dr. Philipp Mesenburg / RA Christian Schostag)