Zur Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Vertrag in einem verzögerten Vergabeverfahren zustande gekommen ist

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Ein Zuschlagsschreiben kann nicht dahingehend ausgelegt werden, der Zuschlag sei auf eine Leistung zur ausgeschriebenen Bauzeit erteilt worden, wenn das Zuschlagsschreiben wegen der Verzögerung des Vergabeverfahrens eine neue Bauzeit enthält und der Auftraggeber darin eindeutig und klar äußert, dass er den Vertrag mit den neuen Fristen zu dem angebotenen Preis bindend schließen will. Die Erteilung des Zuschlags stellt in einem solchen Fall eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiteten Angebots des Bieters und gleichzeitig ein neues Angebot des Auftraggebers dar.

Für einen wirksamen Vertragsschluss bedarf es der vorbehaltlosen Annahme des modifizierten Angebots durch den Bieter.

In der Revision vor dem BGH ging es u. a. um die Frage, ob bei einer verzögerten Vergabe in einem Vergabeverfahren zwischen den Parteien ein Vertrag geschlossen wurde.

Sachverhalt:
Die beklagte Auftraggeberin beauftragte die Vergabestelle mit der Vergabe der Erhaltung und Fahrbahnerneuerung einer Bundesstraße nach der VOB/A 2016. Nachdem die Klägerin ein Angebot abgegeben hatte, teilte die Vergabestelle ihr mit, es sei nach Ablauf der Informationsfrist beabsichtigt, ihr den Zuschlag zu erteilen. In der Folge teilte die Vergabestelle der Klägerin unter Verwendung eines mit „Zuschlagsschreiben“ überschriebenen Formblatts mit, dass sie den Zuschlag erhalte und legte die Ausführungsfristen neu fest. Gleichzeitig wurde die Klägerin aufgefordert, sich gemäß § 18 Abs. 2 VOB/A bzw. § 18 EU Abs. 2 VOB/A unverzüglich über die Annahme dieses Zuschlagsschreibens zu erklären. Anschließend bat die Vergabestelle die Klägerin in einer Einladung zur Bauanlaufberatung in Vorbereitung des Baubeginns um die Übergabe des Bauzeitenplans basierend auf den neu festgelegten Vertragsfristen. Die Klägerin teilte daraufhin mit, dass sie den gewünschten Realisierungszeitraum derzeit nicht bestätigen könne. Sie werde ihre Kapazitäten nach der verspäteten Vergabe neu ordnen und im Rahmen der Bauanlaufberatung mögliche Termine bekannt geben. Vorsorglich kündigte sie erforderliche Mehrkosten infolge der verspäteten Vergabe und den damit verbundenen geänderten Ausführungsfristen nach § 2 Abs. 5 der VOB/B an.

Im Termin der Bauanlaufberatung pflegte die Klägerin die geänderten Ausführungsfristen in einen Bauzeitenplan ein und verlangte Mehrvergütung infolge der zeitlichen Verzögerungen. 

Die Vergabestelle teilte der Klägerin mit, ihr sei mit dem Zuschlagsschreiben kein Auftrag erteilt worden. Das im Zuschlagsschreiben enthaltene modifizierte Angebot der Beklagten habe die Klägerin nicht angenommen, weil sie die geänderten Vertragsfristen nicht als ursprünglichen Vertragsinhalt bestätigt und eine Mehrvergütung verlangt habe. Die Beklagte informierte die Klägerin zudem darüber, dass sie das Vergabeverfahren gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aufgehoben habe, weil der Zuschlag aufgrund der Verzögerungen nicht mehr rechtzeitig für den beabsichtigten Baubeginn habe erteilt werden können.

Den gegen die Aufhebung eingelegten Nachprüfungsantrag der Klägerin wies die Vergabekammer als unbegründet zurück. Die Beklagte führte ein neues Vergabeverfahren mit modifizierten Bauleistungen durch und vergab diese an ein Drittunternehmen.

Der Klage der Klägerin in erster Instanz, festzustellen, dass im Rahmen des Vergabeverfahrens zwischen ihr und der Beklagten ein wirksamer Vertrag zustande gekommen ist, hat das Landgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil abgeändert und die Klage diesbezüglich abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Nach Ansicht des BGH ist die Revision zulässig, aber nicht begründet.

Aus den Gründen:
Rechtsfehlerfrei sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass kein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen sei. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der von den Parteien abgegebenen Willenserklärungen sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Beklagte habe das Angebot der Klägerin mit dem Zuschlagsschreiben nicht unverändert angenommen. Stattdessen sei ein modifizierter Zuschlag gemäß § 150 Abs. 2 BGB erfolgt. Zu Recht habe das Berufungsgericht angenommen, dass in dem Zuschlagsschreiben der Wille der Beklagten klar und eindeutig zum Ausdruck gekommen sei, eine neue Bauzeit nicht nur unverbindlich vorzuschlagen, sondern durch das Abweichen von den in dem Angebot der Klägerin enthaltenen Ausführungsfristen neue Baufristen vertraglich regeln zu wollen.

Die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Bauvertrag in einem verzögerten Vergabeverfahren zustande gekommen sei, sei bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des BGH gewesen.

Danach könne ein Zuschlagsschreiben nicht dahin ausgelegt werden, der Zuschlag sei auf eine Leistung zur ausgeschriebenen Bauzeit erteilt worden, wenn das Zuschlagsschreiben wegen der Verzögerung des Vergabeverfahrens eine neue Bauzeit enthalte und der Auftraggeber darin eindeutig und klar äußere, dass er den Vertrag mit den neuen Fristen zu dem angebotenen Preis bindend schließen wolle. Die Erteilung des Zuschlags stelle in einem solchen Fall eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiteten Angebots des Bieters und gleichzeitig ein neues Angebot des Auftraggebers dar.

Das Berufungsgericht habe das Zuschlagsschreiben dahingehend ausgelegt, dass die Beklagte ein von ihr als bindend verstandenes Angebot zu einer neuen Bauzeit abgegeben habe. Dabei habe es sich zu Recht davon leiten lassen, dass der Wortlaut der Erklärung zur veränderten Bauzeit auf den Abschluss einer neuen Vereinbarung ziele. Die Beklagte habe ausdrücklich erwähnt, dass die neuen Termine in Abweichung von den dem Angebot zugrunde liegenden Besonderen Vertragsbedingungen Vertragsbestandteil werden sollten. Sie habe von der Klägerin im Zuschlagsschreiben nicht lediglich eine Empfangsbestätigung oder Auftragsbestätigung, sondern eine unverzügliche Annahmeerklärung erbeten. Dabei habe sie sich auf § 18 Abs. 2 VOB/A bezogen, der die Möglichkeit vorsehe, Erweiterungen, Einschränkungen oder Änderungen vorzunehmen unter Aufforderung des Bieters, sich unverzüglich über die Annahme zu erklären.

Rechtsfehlerfrei habe das Berufungsgericht weiter angenommen, dass die Verwendung des Formblatts mit der vorgegebenen Überschrift „Zuschlagsschreiben“ nicht darauf schließen lasse, dass der Zuschlag auf das Angebot der Klägerin erteilt worden sei. Das Formular gelte für beide darin enthaltenen Varianten, d. h. für den Zuschlag und für den modifizierten Zuschlag. In dem Zuschlagsschreiben werde zwar eingangs der Zuschlag auf das Hauptangebot der Klägerin erteilt. Daraus lasse sich mit Blick auf die klar und eindeutig geänderten Ausführungsfristen als Vertragsbestandteil aber nicht ableiten, dass die Beklagte, zumindest was den Ausführungszeitraum betrifft, das Angebot der Klägerin unverändert habe annehmen wollen. Gleiches gelte hinsichtlich der am Ende des Formulars enthaltenen Aufforderungen zur Vertragsabwicklung. Die Annahme des Berufungsgerichts, diese Erklärungen stünden unter dem Vorbehalt der Annahme des modifizierten Angebots und seien im Vorgriff auf den zu erwartenden Vertragsschluss ergangen, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der klaren und eindeutigen Formulierungen im Zuschlagsschreiben lasse sich ein Wille der Beklagten, nur ein unverbindliches Verhandlungsangebot zur Bauzeit abzugeben, nicht feststellen.

Das Berufungsgericht sei des Weiteren rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Klägerin das modifizierte Angebot der Beklagten nicht angenommen habe.

Für einen wirksamen Vertragsschluss bedürfe es der vorbehaltlosen Annahme des modifizierten Angebots durch den Bieter. Die Klägerin habe zwar die geänderten Bauzeiten in der Bauanlaufbesprechung bestätigt. Sie habe indes die Ausführung der Arbeiten von einer zusätzlichen Vergütung abhängig gemacht und dadurch das modifizierte Angebot der Beklagten mit geänderten Bauzeiten zu den in ihrem Angebot enthaltenen ursprünglichen Preisen abgelehnt.

Mithin lasse sich allein auf die Teilnahme der Klägerin an der Bauanlaufbesprechung ein konkludenter Vertragsschluss nicht stützen. Soweit in der Ablehnung durch die Klägerin und der damit verbundenen Forderung einer zusätzlichen Vergütung ihrerseits wieder ein neues Angebot gesehen werden könnte, lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte dieses ausdrücklich oder konkludent angenommen habe.

Praktische Auswirkungen:
Ein Zuschlagsschreiben, das wegen der Verzögerung des Vergabeverfahrens eine neue Bauzeit enthält und in dem der Auftraggeber eindeutig und klar äußert, dass er den Vertrag mit den neuen Fristen zu dem angebotenen Preis bindend schließen will, kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Zuschlag auf eine Leistung zur ausgeschriebenen Bauzeit erteilt wurde. Vielmehr stellt die Erteilung des Zuschlags in diesem Fall eine Ablehnung des im Vergabeverfahren unterbreiteten Angebots des Bieters und gleichzeitig ein neues Angebot des Auftraggebers dar.

Verwendet der Auftraggeber ein Formblatt mit der Überschrift „Zuschlagsschreiben“ lässt dies nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass damit der Zuschlag auf das betreffende Angebot erteilt wurde, wenn das Formular für die Varianten „Zuschlag“ und „modifizierter Zuschlag“ gilt. Ein modifizierter Zuschlag muss vom Bieter angenommen werden.

(Quelle: VOBaktuell Heft IV/2020
Ass. jur. Anja Mundt)